Analyse

Stets auf der Ideallinie: USA mit perfekter WM

von Hanno Bode

Amerikas Fußballerinnen feierten mit Skibrillen auf den Nasen ihren WM-Sieg. Wie eine perfekte Abfahrt waren auch die Vorstellungen des Teams beim Turnier in Frankreich gewesen.

Im Bauch des Grand Stade de Lyon floss der Champagner in Strömen. Den Umweg über Gläser nahm der edle Tropfen allerdings nicht. Die US-amerikanischen Fußballerinnen tranken das teure Prickelwasser nach ihrem 2:0-Erfolg im WM-Finale gegen die Niederlande direkt aus der Pulle. Im Rausch der Gefühle verspritzten sie den Schaumwein auch durch den ganzen Raum, sodass Stadioninhaber Olympique Lyon demnächst wohl beim Maler seines Vertrauens vorstellig werden dürfte. Auf dem Boden lag goldenes Konfetti, durch das die Akteurinnen des alten und neuen Weltmeisters zu ohrenbetäubend lauten Rhythm-and-Blues-Klängen tanzten. Sie trugen dabei Sieger-T-Shirts mit der Aufschrift "Champions" und der Rückennummer 19 sowie Ski-Brillen. Warum sich die Schützlinge von Trainerin Jill Ellis, die währenddessen noch mit Freudentränen in den Augen in der Mixed-Zone Interviews gab, dieses Utensil für ihre Kabinenparty ausgesucht hatten, ist nicht überliefert. Vielleicht sollte es ja eine Anspielung auf ihre Auftritte in Frankreich sein. Denn irgendwie glichen die sieben Partien der USA bei der WM ja einem nahezu perfekten Abfahrtslauf.

Ellis mit dem richtigen Gespür

Der nun viermalige Weltmeister blieb mit wenigen kleinen Ausnahmen im gesamten Turnierverlauf auf der Ideallinie, um es im Ski-Jargon zu sagen. In puncto Tempo, Technik, körperliche Robustheit und Abgeklärtheit waren die Amerikanerinnen von Beginn an das Maß der Dinge. Ellis hatte bei der Auswahl ihres Kaders das richtige Gespür. Jede Position war nahezu gleich gut besetzt, was Ali Krieger nach dem 3:0-Erfolg im zweiten Gruppenspiel gegen Chile zu der Aussage bewegte: "Wir haben die beste und auch zweitbeste Mannschaft der Welt." Was überheblich klang, war vielleicht nichts anderes als die Wahrheit. Ein Beleg dafür war beispielsweise das verletzungsbedingte Fehlen von Topstürmerin Megan Rapinoe im Halbfinale gegen England. Die USA konnten es problemlos kompensieren. Andere Teams hatten an Ausfällen von Leistungsträgerinnen weit mehr zu knabbern. Beispielsweise Deutschland, das in seinen Partien ohne Taktgeberin Dzsenifer Marozsan fußballerisch nur wenige Lösungen fand.

Erfahrung zahlt sich aus

Allerdings - das gehört aus deutscher Sicht zur bitteren Realität - hätte das DFB-Team wohl auch mit einer Marozsan in Gala-Verfassung aktuell kaum eine Chance gegen die Amerikanerinnen. Dafür fehlen ihm derzeit schlichtweg genügend Spielerinnen auf Weltklasse-Niveau, weshalb Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg von einer "Entwicklungsphase" spricht, in der sich die Mannschaft befände. Ganz anders die Situation in den USA, wo insbesondere der College-Fußball dafür sorgt, dass der Strom an hoffnungsvollen Talenten nie versiegt. Ellis hatte dementsprechend bei der Zusammenstellung ihres WM-Kaders mehr Optionen als Voss-Tecklenburg. Dass die 52-Jährige schließlich auf ein sehr routiniertes Aufgebot setzte, in dem diverse "Ü30"-Kräfte standen, überraschte zunächst. Doch der Erfolg gab der Trainerin recht. Denn in kritischen Spielphasen waren es eben jene erfahrenen Akteurinnen, die den Unterschied machten.

Steiniger Weg zum vierten Titel

Die US-Amerikanerin Tobin Heath (l.) und die Spanierin Leila Ouahabi © imago images / PanoramiC

Gegen Spanien mussten Tobin Heath (l.) und Co. hart kämpfen.

Und davon gab es durchaus einige. So im Achtelfinale gegen die aufstrebenden Spanierinnen, als die bis dahin perfekte amerikanische Angriffsmaschinerie urplötzlich stockte. Rapinoe sorgte mit zwei Strafstößen dafür, dass der Favorit die Oberhand behielt. Eine Runde später wartete in Gastgeber Frankreich ein weiterer Kontrahent auf den Titelverteidiger, der nicht in die Kategorie "Laufkundschaft" einzuordnen ist. Nach 45 überlegen geführten Minuten wurde es für die USA nach dem Seitenwechsel noch einmal ganz eng. Letztlich bewahrten sie jedoch auf gegen verzweifelt anstürmende Französinnen kühlen Kopf. War damit nun der schwerste Gegner aus dem Weg geräumt? Mitnichten.

In der Vorschlussrunde ging es gegen die bis dahin ebenfalls fast restlos überzeugenden Engländerinnen. Hier war es nun Keeperin Alyssa Naeher, die den Titelverteidiger mit einem gehalten Strafstoß beim Stand von 2:1 "den Arsch rettete", wie es Angreiferin Alex Morgan hinterher ausdrückte. Spanien, Frankreich, England - welch ein anspruchsvolles Programm. Eines, das gewiss viel Kraft kostete - auch mental. Dass die Ellis-Mannschaft dennoch auch im Finale gegen die Niederlande dominierte, zeugte von ihrer außergewöhnlichen Klasse.

Trump gratuliert via Twitter

"Das ist eine bewundernswerte Truppe - sowohl menschlich als auch sportlich. Sie haben Herz und Seele hier reingepackt, ich kann ihnen nicht genug danken. Sie haben Geschichte geschrieben", sang Ellis ein Loblied auf ihre Spielerinnen. Eine davon, Rapinoe, schlug - ebenfalls mit Tränen in den Augen - in dieselbe Kerbe: "Wir sind verrückt, das macht uns besonders. Wir geben nicht auf, sind stark. Und wir tun alles, um zu gewinnen." Ein Umstand, der auch US-Präsident Donald Trump offenbar schwer beeindruckte. "Herzlichen Glückwunsch an die US-amerikanische Frauenfußballmannschaft zum Gewinn der Weltmeisterschaft! Tolles und aufregendes Spiel. Amerika ist stolz auf euch alle", schrieb der mächtigste Mann der Welt auf Twitter.

Ob er die amerikanischen Fußballerinnen nun zu einem Empfang in sein Domizil in Washington, D.C einladen wird, ist noch offen. Sollte dem so sein, kann Trump das eine oder andere Kaffeeservice wohl getrost im Schrank stehen lassen. Schließlich haben in Rapinoe ("Ich gehe nicht in das verdammte Weiße Haus") und Krieger bereits zwei Spielerinnen öffentlich angekündigt, auf ein persönliches Kennenlernen mit dem streitbaren Machthaber verzichten zu wollen. Weitere Weltmeisterinnen dürften dem Duo wohl folgen. Denn dass diese Mannschaft in jeder Situation zusammenhält, haben die vergangenen vier WM-Wochen eindrucksvoll bewiesen.

WM-Rückblick

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | FIFA Frauen WM 2019 | 07.07.2019 | 16:40 Uhr

Stand: 08.07.19 14:21 Uhr