Deutschlands Frauenfußball-Nationalmannschaft bejubelt den WM-Sieg 2003 © picture-alliance/epa/dpa Foto: Brendan MacDermid

USA 2003

Künzers Golden Goal ist Deutschlands WM-Sieg

Die deutschen Frauen gewannen 2003 in den USA ihre erste Weltmeisterschaft. Auf dem Weg zum Titel bezwang das DFB-Team unter anderem die favorisierten Gastgeberinnen. Im Finale sorgte die eingewechselte Nia Künzer in der Verlängerung für die Entscheidung.

"So sehen Sieger aus" und "Es gibt nur eine Theune-Meyer", hallte es fortwährend über den Römer. Rund 8.000 Fans bereiteten den freudetrunkenen und vereinzelt auch leicht angeschwippsten deutschen Fußballerinnen nach ihrer Rückkehr aus den USA auf dem Frankfurter Rathausplatz einen begeisternden Empfang. "Wir sind alle überwältigt. Es ist ein Traum wahr geworden, als Weltmeister nach Deutschland zurückzukehren", jubelte Kapitänin Bettina Wiegmann. "Das ist unglaublich. Das hätten wir uns nicht träumen lassen", meinte Bundestrainerin Tina Theune-Meyer. Sie hatte als erste Frau eine Fußballmannschaft zu einem WM-Titel geführt. Der Triumph aber hatte viele Gesichter und basierte in allererster Linie auf einem nahezu perfekt funktionierendem Team.

Deutschland mit "Heimvorteil"

Eigentlich hatte China die vierte Frauen-WM austragen sollen. Wegen des Ausbruchs der SARS-Pandemie im November 2002 im Reich der Mitte, die binnen eines halben Jahres über 1.000 Todesopfer forderte, entschied sich der Fußball-Weltverband FIFA für eine Verlegung des Turniers in die USA. Dem Land also, das bereits 1999 ein perfekter Gastgeber war. Und auch dem Land, in dem die deutschen Nationalspielerinnen Birgit Prinz, Maren Meinert, Steffi Jones, Sandra Minnert, Conny Pohlers und Wiegmann ihren Lebensunterhalt verdient hatten, bevor die US-Profiliga WUSA 2003 aus finanziellen Gründen zu Grabe getragen wurde. Das deutsche Sextett hatte also eine Art "Heimvorteil". Die größten Titelchancen wurden vor Beginn des Turniers aber erneut den Gastgeberinnen um ihren Superstar Mia Hamm eingeräumt. Zum Favoritenkreis gehörten zudem die "üblichen Verdächtigen": Deutschland, Norwegen, China, Brasilien und Schweden.

Souveräner Gruppensieg

Die deutsche Nationalspielerin Bettina Wiegmann (r.) im Duell mit der Argentinierin Marisa Gerez © imago/PanoramiC

Bettina Wiegmann (r.) und das DFB-Team spazierten durch die Vorrunde.

Für die DFB-Auswahl begann die "Mission WM-Titel" am 20. September mit dem Gruppenspiel in Columbus gegen Kanada. Und mit einer Schrecksekunde. Bereits nach vier Minuten lag der Rekord-Europameister vor 16.409 Zuschauern durch einen Treffer von Christine Sinclair in Rückstand. Der denkbar schlechteste Start in das Turnier sorgte aber nur kurz für Verunsicherung beim Theune-Meyer-Team. Wiegmann konnte noch vor der Pause per Strafstoß egalisieren (39.). Nach dem Seitenwechsel trafen Stefanie Gottschlich (47.), Prinz (75.) und Kerstin Garefrekes (90.+2.) zum 4:1-Erfolg und damit zum gelungenen deutschen Turnierstart. Im Anschluss wurde Japan mit 3:0 in die Schranken gewiesen. Minnert (23.) und zweimal Prinz (36., 66.) hießen die Torschützinnen. Das dritte Gruppenspiel gegen die überforderten Argentinierinnen hatte für das DFB-Team dann mehr den Charakter einer Trainingseinheit unter Wettkampfbedingungen. 6:1 hieß es nach 90 einseitigen Minuten in Washington D.C. Meinert (3., 43.), Wiegmann (24., Elfmeter), Prinz (32.), Pohlers (89.) und Martina Müller (90.+2) waren erfolgreich. Lohn für eine tolle Vorrunde war Rang eins und in Russland, Zweiter der Gruppe D, eine von der Papierform her lösbare Viertelfinal-Aufgabe.

Schützenfest gegen Russland

Doch die Osteuropäerinnen bereiteten Deutschland am 2. Oktober in Portland knapp eine Stunde lang große Probleme. Erst nach dem 2:0 von Minnert (57.) war ihr Widerstand gebrochen. Danach hatte die Theune-Meyer-Elf, die durch Müller in Führung gegangen war (25.), leichtes Spiel. Pia Wunderlich (60.), Garefrekes (62., 85.) und Prinz (80., 89.) sorgten bei einem Gegentreffer von Elena Danilova (70.) für den 7:1-Kantersieg. Spätestens nach diesem Auftritt war das DFB-Team vom Mit- zum Topfavoriten avanciert. Die USA musste in ihrem Viertelfinale weitaus mehr Aufwand betreiben. Norwegen forderte den Gastgeberinnen alles ab, verlor am Ende jedoch mit 0:1. Abby Wambach schoß das goldene Tor für den Titelverteidiger. Zudem zogen Schweden (2:1 gegen Brasilien) und überraschend Kanada durch einen 1:0-Erfolg gegen China in die Vorschlussrunde ein.

Rottenberg bei Halbfinal-Sieg gegen USA überragend

Die deutsche Nationalkeeperin Silke Rottenberg (r.) im Duell mit der US-Amerikanerin Abby Wambach © imago/PKP/John Todd Foto: John Todd

Silke Rottenberg (r.) zeigte im Semifinale gegen die USA eine überragende Leistung.

Deutschland kämpfte am 5. Oktober gegen die USA um das Finalticket. 27.623 Zuschauer in Portland sahen die frühe Führung des Rekord-Europameisters durch einen Kopfball von Garefrekes (15.). Anschließend lieferten sich beide Teams ein umkämpftes Duell mit Chancen auf beiden Seiten. Torhüterin Silke Rottenberg wuchs dabei über sich hinaus. Die Keeperin hatte einmal aber auch Glück, als ihr elfmeterreifes Einsteigen gegen Tiffany Milbrett in Abschnitt zwei von Schiedsrichterin Sonia Denoncourt (Kanada) nicht geahndet wurde. In der Schlussphase sorgten Meinert (90.+1) sowie Prinz mit ihrem siebten Turniertor (90.+3) für die Entscheidung. Vielen der unterlegenen Amerikanerinnen liefen anschließend Tränen über die Wangen. Der erträumte zweite Sieg in Folge vor eigenem Publikum war jäh geplatzt. Und auch Nachbar Kanada verpasste das Endspiel. Der Außenseiter verlor gegen Schweden trotz zwischenzeitlicher 1:0-Führung mit 1:2.

Theune-Meyers Joker sticht im Finale

Es kam am 12. Oktober in Carson also zur Neuauflage des Europameisterschaftsfinals von 2001 in Deutschland. Seinerzeit hatte die DFB-Auswahl durch ein Golden Goal von Claudia Müller in der 98. Minute mit 1:0 gewonnen. In den USA gab es nun die Duplizität der Ereignisse. Diesmal hieß die Schützin allerdings nicht Müller, sondern Künzer. Die in der 88. Minute für Wunderlich eingewechselte Defensiv-Allrounderin stieg nach einem Freistoß von Renate Lingor am höchsten und köpfte den Ball zum ersten deutschen WM-Sieg in die Maschen.

"Männer, schaut auf diese Frauen"

Ariane Hingst (l.) bejubelt mit Torschützin Nia Künzer das Golden Goal im WM-Finale 2003 © imago/Hoch Zwei/Sportstock

Nia Künzer (r.) schrieb mit ihrem Golden Goal Fußball-Geschichte.

Zuvor hatten die 26.137 Zuschauer eine umkämpfte Begegnung gesehen, in der Deutschland im ersten Abschnitt beste Chancen ausließ und kurz vor der Pause durch Hanna Ljungberg überraschend in Rückstand geriet (41.). Lediglich 43 Sekunden nach dem Seitenwechsel konnte Meinert dann egalisieren. Es folgten eine dramatische Schlussphase, die Verlängerung sowie das einzige Golden Goal in der WM-Geschichte. "Wir hätten schon in der zweiten Halbzeit alles klarmachen können, wir hatten bestimmt fünf hochkarätige Chancen. Ich kann nur sagen, dass es verdient ist", erklärte Künzer. Ihr Treffer wurde später zum "Tor des Jahres 2003" gewählt. Viel wichtiger aber: Die Mannschaft wurde nach dem Sieg in den USA in Deutschland ganz anders wahrgenommen. Respekt und Anerkennung stiegen. Wie sagte noch Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth beim Empfang auf dem Römer: "Männer, schaut auf diese Frauen."

Dieses Thema im Programm:

FIFA Frauen WM 2019 | 08.06.2019 | 16:00 Uhr

Stand: 23.04.19 14:35 Uhr