Deutsches Team
Sieg gegen China: Die Jüngste weist den Weg
von Florian Neuhauss aus Rennes
Hauptsache gewonnen! Nach dem 1:0 gegen China können die DFB-Frauen durchatmen. Nicht zuletzt dank Lena Oberdorf. Die Einwechslung der 17-Jährigen war der Schlüssel zum Auftakterfolg.

Lena Oberdorf (r.) behauptet im Zweikampf den Ball.
Es war, als hätte jemand dem deutschen Team den Stecker gezogen. Mit mehr Glück als Verstand hatten die DFB-Frauen gegen China das 0:0 in die Kabine gerettet. Und was tat Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg? Sie wechselte zur zweiten Hälfte mit Lena Oberdorf ausgerechnet die jüngste Spielerin des Kaders ein, "um mit Lenas Körperlichkeit" gegen das harte Spiel der Chinesinnen zu halten. Und die kräftige 17-Jährige zahlte das Vertrauen sofort zurück, warf sich in jeden Zweikampf - erst im defensiven Mittelfeld, später in der Innenverteidigung. Die 1,74-Meter-Frau hatte großen Anteil daran, dass die Asiatinnen keine ernsthafte Torchance mehr hatten. "Ich war viel nervöser als vor meinem Debüt. Auf dem Platz habe ich aber alles ausgeblendet", sagte Oberdorf, die neben dem Training in Frankreich schon zwei Klassenarbeiten im Teamhotel geschrieben hat, nach ihrem erst vierten Länderspieleinsatz strahlend.
Es passte ins Bild, dass Giulia Gwinn als zweitjüngste Spielerin auf dem Platz den 1:0-Siegtreffer erzielte. Die Youngster retteten Deutschland den WM-Auftakt.
Harte Gangart sorgt für Frust - fällt Marozsán aus?
Nach dem Spiel versuchten alle Beteiligten den starken Leistungseinbruch in der ersten Hälfte zu erklären. "Wir haben wirklich gut angefangen, und hätten auch das 1:0 machen können", befand Verteidigerin Sara Doorsoun. Doch die Gangart der Chinesinnen zeigte mit fortlaufender Spieldauer immer mehr Wirkung. So ließen sich die DFB-Frauen den Schneid abkaufen. "Es war vorher klar, dass sie um ihre Fußball-Ehre kämpfen würden und zeigen wollten, dass sie wieder zur Weltspitze gehören. Aber viele Zweikämpfe waren schon grenzwertig", meinte Torhüterin Almuth Schult, die um ein Haar einen Tritt ins Gesicht bekommen hätte. "Ekelig" fand Doorsoun die Duelle um den Ball. Marina Hegering, die ein Veilchen davongetragen hatte, ärgerte sich: "Ich hätte auch gern ausgeteilt, aber ich hatte keine Gelegenheit dazu."
Dzsenifer Marozsán, Carolin Simon, Melanie Leupolz und Alexandra Popp gingen nach harten Zweikämpfen auf dem Platz zu Boden. "Es sind fast alle Spielerinnen angeschlagen", sagte Voss-Tecklenburg bei der Pressekonferenz. Am schlimmsten hat es offenbar Marozsán erwischt: "Der Fuß sieht nicht gut aus." Am Sonntag zeigte sich dass der angeschwollene Knöchel eine Behandlung in den kommenden Tagen nötig macht. Ein Einsatz am Mittwoch gegen Spanien ist unsicher.
Neuer Abschnitt
Deutsches Team
Einzelkritik - Hegering überragt, Gwinn trifft herrlich
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Almuth Schult: Souveräner Auftritt der deutschen Torhüterin, die ein ums andere Mal die Schnitzer ihrer Vorderleute ausbügeln musste. Vor allem ihr offensichtlich zur Schau getragenes Selbstvertrauen tat ihren Mannschaftskameradinnen gut.
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Carolin Simon: Die Linksverteidigerin begann sehr stark, hatte zunächst viele gute Offensivaktionen auf der Außenbahn. Es fehlte aber die letzte Präzision in der Vorbereitung der Tormöglichkeiten. So blieb das Bemühen ohne Ertrag. Auch weil eine lange Flanke nur an die Querlatte klatschte. Mit Fortlauf der Partie wurden die Dinge schwieriger. Die Chinesinnen ließen auch ihr weniger Raum und stoppten die 26-Jährige von Olympique Lyon. Wurde zur Halbzeit ausgewechselt.
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Marina Hegering: Die 29-Jährige aus Essen, die erst ihr viertes Länderspiel absolvierte, war die positive Überraschung im deutschen Team. Neben der aufgeregt wirkenden Sara Doorsoun gab sie den Ruhepol in der deutschen Innenverteidigung. Mit gutem Auge und gutem Timing in den Zweikämpfen - ein stabiler Faktor im deutschen Team.
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Sara Doorsoun: Die Innenverteidigerin aus Wolfsburg hatte sichtlich mit großer Nervosität zu kämpfen. Spielte vor allem in der ersten Hälfte teils katastrophale Fehlpässe, wirkte am Ball stets etwas hibbelig. Steigerte sich im zweiten Durchgang.
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Kathrin Hendrich: Erhielt auf der rechten Abwehrseite den Vorzug vor Lea Schüller und lieferte eine solide Partie ab. Allerdings: Das deutsche Team spielte nicht sehr häufig über ihre rechte Seite, bevorzugte die andere Seite für den Spielaufbau. So blieb Hendrich weitgehend unauffällig.
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Sara Däbritz: Ihr großes technisches Potenzial und Geschmeidigkeit blitzten ein paar Mal auf - beispielsweise bei einem guten Distanzschuss gleich in der Anfangsphase, der das Tor nur knapp verfehlte. Allerdings zeigte sie solches viel zu selten. Dzsenifer Marozsán hätte die Unterstützung ihrer Nebenfrau häufiger benötigt, um mehr Druck auf die chinesische Abwehr ausüben zu können. Insgesamt einfach etwas zu zurückhaltend.
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Melanie Leupolz: Die heimliche Chefin im deutschen Spiel. Auf der Sechserposition stopfte sie viele Löcher, mit guter Pass-Sicherheit im Spiel nach vorn. Guter Auftritt der 25-Jährigen vom FC Bayern. Ihre Auswechslung nach knapp 70 Minuten kam etwas überraschend.
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Svenja Huth: Agil, quirlig, bemüht - aber glücklos. Die 28-Jährige von Turbine Potsdam sorgte neben Alexandra Popp für viel Bewegung im deutschen Angriff. War sie aber in der gefährlichen Zone am Ball, agierte zu meist zu hektisch und ungenau.
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Dzsenifer Marozsán: Schon nach rund zehn Minuten bekam die deutsche Spielmacherin einen harten Schlag auf den Fuß und war fortan sichtlich etwas beeinträchtigt. Konnte das Spielgeschehen nicht wie gewohnt an sich ziehen, wenngleich sie hin und wieder dann doch ihr gewaltiges spielerisches Können aufblitzen ließ.
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Giulia Gwinn: Was für Däbritz gilt, muss sich auch die 19-jährige Freiburgerin gefallen lassen: Insgesamt zu wenig Aktionen nach vorn, sie sollte auf ihrer Position im offensiven Mittelfeld mehr Verantwortung übernehmen. Das hat in der Pause offenbar auch die Bundestrainerin moniert - Gwinns herrlicher Distanzschuss zum 1:0 war Resultat einer im zweiten Abschnitt mutigeren Spielweise.
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Alexandra Popp: Aua, Alexandra Popp. Die deutsche Kapitänin musste gegen die Chinesinnen so einiges einstecken, wurde ein ums andere Mal hart angegangen. Schmerzhaft vor allem ein Umknicken nach einem Kopfball. War also auch früh angeschlagen, was man ihrem Spiel dann auch ansah. Kaum Torszenen.
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Lena Sophie Oberdorf (ab 46. für Carolin Simon): Im zweiten Durchgang legte das deutsche Team etwas zu - in den nun besseren Spielfluss fügte sich auch die junge Oberdorf gut ein. Einige gute Offensivakzente über links.
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Lina Magull (ab 63. für Melanie Leupolz): Kam über die rechte Seite und arbeitete gut gegen die quirligen Chinesinnen. War gleich gut im Spiel, sehr aktiv.
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Lea Schüller (ab 85. für Svenja Huth): Hatte keine Gelegenheit mehr, sich auszuzeichnen.
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Martina Voss-Tecklenburg: Die Bundestrainerin stand in der ersten Halbzeit mehrmals kopfschüttelnd an der Seitenlinie. Etwas hilflos musste sie mit ansehen, wie die körperlich robusten Chinesinnen ihren Schützlingen den Schneid abkauften. Nach dem Seitenwechsel stellte sie vorne etwas um, sodass auch ihre junge WM-Debütantin Giulia Gwinn mehr Platz in der gefährlichen Zone vor dem Tor bekam. Das zahlte sich am Ende aus.
"MVT" kritisiert ihr Team deutlich
Die Bundestrainerin übte aber auch Kritik am eigenen Team: "Es lag nicht nur an der Härte, das wäre mir zu einfach." Die 51-Jährige bemängelte "unnötige Fehlpässe und lange Bälle, die schnell wieder zurückkamen. Das kann das Team besser. So haben wir uns selbst rausgebracht."
Angesprochen durfte sich dabei besonders Doorsoun fühlen - und die zeigte sich nach mehreren dicken Böcken im Spielaufbau einsichtig. "Wir hatten viele individuelle Fehler, auch von mir", gestand die 27-Jährige ein. Umso größer war ihre Erleichterung, "dass wir die Fehler in der zweiten Hälfte abgestellt haben und Giuli den Ball reingehauen hat".
Popp: "Jetzt sind wir im Turnier drin"

Die DFB-Frauen bejubeln den Treffer von Giulia Gwinn.
Nicht unterschlagen werden darf allerdings, dass die deutschen Frauen trotz des Sieges auch in der zweiten Hälfte nicht zu überzeugen wussten. "MVT" versuchte zwar alles, doch ob ihr Team nun im 4-4-2, 4-5-1 oder mit defensiver Dreierkette agierte, so recht in Fahrt kam das Spiel nicht. Was sicher auch daran lag, dass man Marozsán die frühe Verletzung deutlich anmerkte. Doch ihre Ecke war es, die über Umwege bei Gwinn landete und so zum Tor führte. "Bezeichnend" fand es Leupolz, dass eine Standardsituation das Spiel entschied. "Wir haben Glück gehabt, dass die Chinesinnen nicht in Führung gegangen sind. Aber am Ende ist nur wichtig, dass wir gewonnen haben", sagte Sara Däbritz und Kapitänin Popp fügte hinzu: "Jetzt sind wir im Turnier drin."
Voss-Tecklenburg: "Widerstände überwinden"
Darauf setzt auch Voss-Tecklenburg: "Es ist wichtig, dass wir diese Erfahrung gemacht haben. Auf unserem Weg müssen wir Widerstände überwinden. Und die Mannschaft war bereit, sich durchzubeißen." Gegen die Spanierinnen erwarte ihr Team wieder "eine ganz andere Mannschaft". Bis Mittwoch (12.6.2019/18 Uhr) gelte es nun, wieder körperlich und geistig frisch zu werden. Welche Spielerinnen ihr gegen die Ibererinnen zur Verfügung stehen, zeigt sich erst in den kommenden Tagen. So oder so will "MVT" das Gute aus dem Spiel ziehen - womit wir wieder bei den Jüngsten wären. Auf die war gegen China nämlich Verlass.
Stand: 09.06.19 10:34 Uhr