Interview

Der deutsche Läufer David Behre (M.) während des Rennens. © Imago/ Beautiful Sports

Deutsches Team

Behre: "Ohne den Unfall wäre ich kein Profisportler"

David Behre ist ein Adrenalin-Junkie: Schnelle Autos, Motocross und Klippenspringen. Auf der Suche nach dem Kick lässt sich der 29-Jährige auch nicht von jenem schicksalsträchtigen Unfall im Jahr 2007 stoppen, als ihm ein Zug beide Füße und Teile der Unterschenkel abtrennte. Als Prothesensprinter greift der Weltmeister in Rio nach Gold.

Der Blader-Runner Oscar Pistorius wurde zu seinem sportlichen Vorbild. In Rio läuft der Leverkusener über 100 (Platz 7), 200, 400 und 4x100 Meter. Für den Traum von einer Medaille hörte Behre auf seinen Trainer Karl-Heinz Düe. "Er hat mir gesagt: David, du bist auf deinem Zenit. Mach jetzt keinen Mist", erklärte der Athlet sportschau.de. Das Adrenalin hat er sich in den vergangenen zwei Jahren nur auf der Bahn geholt. Im Interview spricht Behre über Träume, den Fall seines Vorbildes und darüber, warum er seine Beine gar nicht wiederhaben will.

David Behre, Sie sind seit dem 1. September in Rio. Wie man hört, verbringen Sie sehr viel Zeit im "Dining Room" des Paralympischen Dorfes. Bringen Sie sich dort selbst um Ihre Medaillenchancen?

David Behre (lacht): Das Essen hier ist weltklasse - und man kann viel ausprobieren. Nichtsdestotrotz trainieren wir hier natürlich auch hart. Da darf man schon mal was essen und die Teller sind ja auch nicht proppevoll. Aber es gibt drei Mahlzeiten, da sitzt man schön zusammen mit den ganzen Sportlern und das dauert dann auch schon mal ein Stündchen im Essenszelt.

Mit dem trauten Miteinander ist es aber vorbei, wenn man sich im Wettkampf gegenübersteht. Hinzu kommt die Atmosphäre - bei Olympia gab es immer wieder Pfiffe gegen Ausländer. Was erwarten Sie von der Stimmung im Stadion?

Behre: Ich hoffe, dass das Stadion voll wird. Aber ich habe in meiner Klasse mit Alan Oliveira einen Konkurrenten, der Brasilianer ist. Wenn ich den schlagen würde, werde ich wohl mit Buhrufen gejagt. Aber damit muss ich dann leben (lacht).

Sie hatten in dieser Saison mit einem Blutgerinsel im Knie zu kämpfen. Wie kam es dazu und sind die Probleme ausgestanden?

Behre: Im Trainingslager in Südafrika hat die Prothese nicht so richtig gut gepasst oder ich habe sie falsch angezogen. Da kam es dann zu einem traumatischen Blutgerinsel. Deshalb konnte ich sechs Wochen lang nicht richtig trainieren. Es hindert mich aber nicht mehr.

Hat es Ihnen für den Saisonverlauf einen weiteren Motivationsschub gegeben, dass Sie bei der EM über Ihre Lieblingsstrecke, die 400 Meter, von Ihrem Teamkollegen Johannes Floors geschlagen worden sind?

Behre: Karl-Heinz Düe und ich haben auf die Paralympics hingearbeitet. Ich bin im Saisonverlauf immer schneller geworden. Hier will ich einen Europarekord über 400 Meter laufen. Aber der Johannes fordert mich schon und es ist top, dass ich so einen guten Konkurrenten in Deutschland habe. Und wir verstehen uns echt gut.

In Ihrem Buch "Sprint zurück ins Leben" (Gütersloher Verlagshaus) schreiben Sie, dass Sie Ihre Beine nicht zurückhaben wollen würden. Was steckt hinter dieser Aussage?

Behre: Wenn der Satz so allein da steht, tritt man jedem Amputierten erst mal vor den Kopf. Aber ich lebe von dem Sport, wollte immer Profisportler werden. Vor dem Unfall hätte ich das nie geschafft, als Motocrossfahrer war ich einfach zu schlecht. Jetzt ist mein Traum wahr geworden. Ich bereise Länder, lerne Kulturen kennen und habe dank der Prothesen keine Einschränkungen.

Oscar Pistorius im Gerichtssaal. © dpa bildfunk Foto: Phill Magakoe

Oscar Pistorius ist wegen Mordes an seiner früheren Lebensgefährtin Reeva Steenkamp zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Oscar Pistorius hat sozusagen den Startschuss zu Ihrem Sprint gegeben. Nach der Amputation haben Sie im Krankenhaus einen TV-Beitrag über den südafrikanischen Sprinter gesehen. Das hat sie motiviert und inspiriert. Wie haben Sie den tiefen Fall Ihres Vorbildes verfolgt?

Behre: Natürlich hat mich das schockiert. Als ich das erste Mal gegen ihn gelaufen bin, habe ich ihm meine Geschichte erzählt. Daraus ist eine echt gute Freundschaft entstanden und wir haben viel miteinander gesprochen. Seit dem Vorfall hatte ich aber keinen Kontakt mehr zu Oscar. Die Justiz hat ihr Urteil gesprochen. Jetzt ist Oscar im Gefängnis und muss dafür büßen, was er getan hat. Nur er weiß, was an dem Tag wirklich passiert ist.

Ist das Nach-vorne-Blicken seit diesem Moment im Krankenbett zu Ihrer Lebenseinstellung geworden?

Behre: Ich war schon immer ein recht optimistischer Mensch. Aber nach dem Unfall ist in meinem Kopf ein Schalter umgelegt worden. Damit kam diese Jetzt-erst-recht-Einstellung. Ich habe dann Heinrich Popow kennen gelernt. Er hat mich nach Leverkusen geholt, wo ich mit dem Leistungssport angefangen habe.

Die deutsche Sprintstaffel Markus Rehm (v.l.), David Behre, Felix Streng und Johannes Floors © picture alliance / Beautiful Sports Foto: Axel Kohring

Die WM-Staffel mit Markus Rehm, David Behre, Felix Streng und Johannes Floors (v.l.n.r.).

Über die 100 Meter wollten Sie "einrollen", auf die 200 Meter und die Staffel folgen zum Abschluss die 400 Meter. Was ist für Sie persönlich und mit der Staffel - Ihre Kollegen und Sie sind im vergangenen Jahr Weltmeister geworden - möglich?

Behre: Wir sind ein sehr gut eingespieltes Team. Wir blicken natürlich auf Gold. Um die Amerikaner und die Brasilianer in Schach halten zu können, müssen wir alle unser Leistungsvermögen abrufen. Wir haben viel trainiert und werden versuchen, Rio zu rocken! Über 400 Meter wäre es ein Traum, Gold zu gewinnen. Aber auch über die 200 Meter ist einiges drin. Es muss aber alles optimal laufen. Zumal für mich innerhalb einer Woche fast jeden Tag ein Rennen ansteht. Über die 100 Meter bin ich auf jeden Fall wie geplant eingerollt. Platz sieben im Finale war schon mal ein Auftakt nach Maß. Aber mein Ziel ist klar: Ich will hier eine Einzelmedaille gewinnen. Und der Traum von Gold ist natürlich da.

Das Olympische Dorf genießen Sie in vollen Zügen, die Eröffnungsfeier mussten Sie ausfallen lassen. Ist die Schlussfeier dann die Entschädigung am Ende?

Behre: Genauso sehe ich das. Es ist schade, dass ich nicht bei der Eröffnung war. Aber ich hatte ja einen Tag später den Hunderter. Die Abschlussfeier wird gigantisch und hoffentlich kann ich die eine oder andere Medaillen gleich ausgelassen mitfeiern. Dann kann ich mir das Adrenalin auch wieder auf einem anderen Weg holen: Zur Belohnung für die harte Arbeit will ich nach den Spielen meinen ersten Fallschirmsprung machen.

Das Interview führte Florian Neuhauss, sportschau.de

Dieses Thema im Programm:

Sportschau live, 19.09.2016, 10.00 Uhr

Stand: 10.09.16 01:04 Uhr

Medaillenspiegel

Aktueller Medaillenspiegel
Platz Land G S B
1. Flagge Volksrepublik China CHN 107 81 51
2. Flagge Großbritannien GBR 64 39 44
3. Flagge Ukraine UKR 41 37 39
4. Flagge USA USA 40 44 31
5. Flagge Australien AUS 22 30 29
6. Flagge Deutschland GER 18 25 14
7. Flagge Niederlande NED 17 19 26
8. Flagge Brasilien BRA 14 29 29
Stand nach 528 von 528 Entscheidungen.

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