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Meistercoach Lerch: "Deutschland muss aufwachen"

Im Clubfußball ist Olympique Lyon aus Frankreich das Maß der Dinge, wie Sie mit dem VfL Wolfsburg in dieser Saison auch wieder schmerzlich erfahren mussten. Werden die OL-Spielerinnen auch der WM ihren Stempel aufdrücken?

Lerch: Lyon dominiert seit Jahren den europäischen Frauenfußball. Die Spielerinnen kommen nach Meisterschaft, Pokal- und Champions-League-Sieg sicher mit viel Selbstvertrauen zur WM. Sie sind in ihren Nationen Leistungsträgerinnen. Dzsenifer Marozsán hat zum Beispiel ein ganz starkes Finale gegen Barcelona gespielt. Sie blüht nach ihrer langen Pause wieder richtig auf. Sie hat einmalige technische Fähigkeiten, aber sie braucht für ihr Spiel auch die Fitness.

Wer ist Ihr Topfavorit auf den Titel, und wer könnte für Überraschungen sorgen?

Lerch: Es gibt dieses Mal wirklich viele Mannschaften, die gute Chancen auf den Titel haben. Die USA gehören auf jeden Fall dazu. Sie kommen eher über die Physis, und die ist bei einem solchen Turnier sehr wichtig. Frankreich mit der Heim-WM ist ebenso zu nennen. Aber ich traue auch Deutschland ein großes Turnier zu. England hat in den letzten Jahren sehr gut gearbeitet. Für eine Überraschung könnten am ehesten die Australierinnen sorgen, da hat sich viel getan.

Stephan Lerch, Trainer des VfL Wolfsburg mit Nationalmannschaftskapitänin Alexandra Popp © Imago / foto2press Foto: Imago / foto2press

Auch Nationalmannschaftskapitänin Alexandra Popp spielt unter Trainer Stephan Lerch beim VfL Wolfsburg.

Wie sind Sie eigentlich zum Frauenfußball gekommen?

Lerch: Das kam aus dem Nichts. Daniel Nister, der damals beim VfL Wolfsburg gearbeitet hat, rief mich an, als der VfL einen neuen Trainer für die zweite Mannschaft gesucht hat. Wir kannten uns aus gemeinsamen Zeiten in Darmstadt, und er hat an mich gedacht. Ich hatte schon im Junioren- und Männerbereich gearbeitet und war gerade mit meinem ersten Staatsexamen in Sport und Bio auf Lehramt fertig. Ich musste mich dann zwischen Referendariat und dem Trainerjob entscheiden. Ich habe früher selbst ambitioniert gespielt und wollte schon immer im Fußball arbeiten. Nach zwei Jahren bei der zweiten Mannschaft und zwei Jahren als Co-Trainer von Ralf Kellermann bin ich jetzt seit zwei Jahren Cheftrainer. Und auch wenn ich vorher keine Berührungspunkte mit dem Frauenfußball hatte, habe ich die Entscheidung nie bereut.

Könnten Sie sich vorstellen, auch mal als Bundestrainer zu arbeiten?

Lerch: Da ich mir früher auch nie vorstellen konnte, mal Frauentrainer zu werden, ich jetzt aber sehr glücklich bin, will ich das nicht ausschließen. Aber ich stehe gern jeden Tag mit den Spielerinnen auf dem Platz und lerne auch noch sehr viel. Verbandsarbeit ist da ja doch anders. Ich fühle mich momentan sehr gut aufgehoben.

Stephan Lerch, Trainer des VfL Wolfsburg © Imago / foto2press Foto: Imago / foto2press

Stephan Lerch schätzt seine Trainerkollegin Martina Voss-Tecklenburg sehr.

Martina Voss-Tecklenburg ist mit viel Elan angetreten. Wie bewerten Sie ihre ersten Monate als Bundestrainerin?

Lerch: Auf jeden Fall sehr positiv. Ich hatte wegen einiger VfL-Spielerinnen mit Martina schon zu tun, als sie noch Schweizer Nationaltrainerin war. Da hatten wir schon einen guten Austausch. Sie ist sehr kommunikativ, und wir haben zusammen überlegt, was wir noch verbessern können. In der Schweiz hat sie einen guten Job gemacht, und auch jetzt finde ich alles sehr positiv. Sie hat zudem ein sehr starkes Trainerteam um sich. Britta Carlson war ja vorher meine Co-Trainerin. Aber bekanntlich ist am Ende der Erfolg nicht ganz unwichtig.

Und was ist für Deutschland bei der WM drin?

Lerch: Ich traue dem Team auf jeden Fall das Halbfinale zu. Aber es braucht natürlich auch Spiel- und Turnierglück. Mit dem Gruppensieg könnte man den großen Nationen erst mal aus dem Weg gehen. Wenn es mit dem Halbfinale klappt, ist auch der große Wurf möglich. Ich bin selbst sehr gespannt.

Das Interview führte Florian Neuhauss

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | FIFA Frauen WM 2019 | 08.06.2019 | 16:00 Uhr

Stand: 05.06.19 11:30 Uhr