Porträt

Voss-Tecklenburg: Ehrgeizig, mutig, konsequent

von Florian Neuhauss

Dass Voss-Tecklenburg einmal selbst Trainerin werden würde, war abzusehen. Ihre ersten Schritte machte sie beim Fußballverband Niederrhein, bei dem sie für verschiedene Jugendmannschaften zuständig war. Gleichzeitig war sie Teammanagerin und auch Interimstrainerin bei den Männern des SV Straelen, wo ihr Mann als Präsident fungierte und wo 2019 ausgerechnet Grings als Coach vorgestellt wurde. 2008 wechselte sie zu den Bundesliga-Frauen des FCR Duisburg. Dort gewann sie zweimal den DFB-Pokal und den UEFA-Women's-Cup. Über Jena und die Schweiz kam sie schließlich 2018 zum DFB.

Erfolgreiche Arbeit in der Schweiz

Martina Voss-Tecklenburg als Schweizer Nationaltrainerin © imago/Oliver Zimmermann

Martina Voss-Tecklenburg führte die Schweiz 2015 zur WM nach Kanada.

Dass die Wahl des Verbands auf der Suche nach einer Nachfolgerin für Bundestrainerin Jones auf Voss-Tecklenburg fiel, war folgerichtig. Die 51 Jahre alte ehemalige Nationalmannschaftskapitänin hatte seit 2012 aus Frauenfußball-Zwerg Schweiz eine echte Hausnummer gemacht. Unter ihrer Regie qualifizierten sich die Eidgenossinnen 2015 erstmals für eine WM und reisten zwei Jahre später auch zur EM in die Niederlande. Nach ihrer Zusage beim DFB im April 2018 versuchte Voss-Tecklenburg noch, sich mit der Auswahl des SFV für die WM zu qualifizieren. Allerdings scheiterten die Schweizerinnen schließlich in den Play-offs am übermächtigen Europameister Niederlande.

Seit dem vergangenen Herbst nun ist Voss-Tecklenburg Bundestrainerin - "eine große Ehre, aber auch Verantwortung und gleichzeitig Verpflichtung". Den neuen Geist, den Interimscoach Horst Hrubesch in die Mannschaft gebracht hat und diese so nach Frankreich führte, hat sie konserviert ("unsere Ideen von Fußball sind recht ähnlich") und eigene Vorstellungen eingebracht. Ihr Vertrag gilt bis 2021, bei der EM in England soll der neunte EM-Titel eingefahren werden. Vor der WM in Frankreich setzte "MVT" ganz bewusst auf Testspiele gegen große Namen. Eine mutige Entscheidung, die mit Siegen in Frankreich (1:0) und in Schweden (2:1) sowie einem Remis nach zweimaligem Rückstand gegen Japan (2:2) belohnt wurde.

"Mannschaft hat keine Angst, Fehler zu machen"

Auf dem Platz ist ihre Handschrift deutlich zu erkennen - "offensiv und attraktiv" lautet das Leitmotiv. Immer aktiv sein, nur zu reagieren ist verboten. Mut, Leidenschaft und Kreativität fordert die Bundestrainerin - mit Erfolg. "Die Spielerinnen haben keine Angst, Fehler zu machen. Sie haben wieder Selbstvertrauen und Sicherheit. Sie wollen Verantwortung übernehmen", hat ARD-Frauenfußball-Expertin Nia Künzer erkannt. Mittelfeldspielerin Lina Magull bestätigte den Eindruck: "Wir sollen uns viel zutrauen." Ist der Ball mal weg, schaltet das Team sofort in den Gegenpressing-Modus, "um den Gegner dahin zu bringen, wo wir ihn haben wollen, um den Ball zurückzuerobern", meinte Voss-Tecklenburg. "Sie hat wahnsinnig viel Erfahrung, das merkt man einfach", sagte Routinier Lena Goeßling. "Sie hat einen klaren Plan und macht klare Ansagen."

Voss-Tecklenburg will mit Mannschaft lernen

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg © imago images / Uwe Kraft

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in ihrem Element.

Eine ihrer ersten Amtshandlungen war die Ernennung von Alexandra Popp zur neuen Kapitänin. Zuvor hatte die neue Bundestrainerin ein längeres Gespräch mit Dzsenifer Marozsan geführt, die sich nie mit der von Jones übertragenen Rolle anfreunden konnte und sich nun wieder auf ihr bei Olympique Lyon oftmals herausragendes Spiel konzentrieren kann. "MVT" will die Spielerinnen "in alle Prozesse einbeziehen". Mit Kritik stoße sie stets auf offene Ohren: "Die Mannschaft ist sehr selbstkritisch. Und das Trainerteam entwickelt sich mit der Mannschaft." Ansonsten gehe es darum, "was die Spielerinnen brauchen. Wir empfinden uns als Dienstleister."

Bei der Nominierung des WM-Kaders setzte die neue Bundestrainerin Zeichen. Drei Teenager erhielten ein Ticket, Simone Laudehr erklärte kurzerhand ihren Rücktritt. Babett Peter hatte nach einem Gespräch mit Voss-Tecklenburg zuvor schon dieselbe Entscheidung getroffen. "Sie geht ihren Weg sehr mutig und konsequent", befand Künzer. "Sie kann ihren Plan nicht in einem halben Jahr umsetzen und denkt deshalb schon perspektivisch." Dabei helfe ihr ihr starker Wille und sehr viel Erfahrung. Womöglich müsse man ihr aber auch mehr Zeit als die WM lassen, das Team zu entwickeln. Künzer ist sich allerdings sicher: "Martina ist absolut die Richtige."

Karriere noch unvollendet?

Martina Voss-Tecklenburg hat sich im Laufe der Jahre eine gewisse Lockerheit erarbeitet. Die vielen Titel, die ihren Weg pflastern, haben dazu sicher beigetragen. Doch ein großer Erfolg fehlt der ehrgeizigen Duisburgerin noch in der Sammlung. Weltmeister-Ehren waren ihr noch nicht vergönnt. 1995 gab es "nur" Silber. Und so passt es, dass die 51-Jährige ihre Aufzählung, welche Qualitäten sie persönlich zu einer erfolgreichen WM-Mission beisteuern könnte, noch ergänzte. Die Bundestrainerin schloss mit den Worten: "Es braucht die Balance zwischen Lockerheit und klarer Fokussierung im richtigen Moment."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | FIFA Frauen WM 2019 | 08.06.2019 | 16:00 Uhr

Stand: 04.06.19 10:28 Uhr