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Khadija Shaws Kampf: "Sie hätten es so gewollt"

von Hanno Bode

Khadija Shaw verlor innerhalb kurzer Zeit vier Brüder und zwei Neffen. Die Jamaikanerin wollte vor lauter Schmerz mit dem Fußball aufhören. Sie spielte weiter und hat nun ihren ersten Profivertrag unterschrieben.

Schüsse peitschen durch die Nacht. Schreie sind zu hören. Sirenen heulen. In Spanish Town tobt wieder einmal der Bandenkrieg. Die Großstadt im Südosten Jamaikas ist gefürchtet für die brutalen Auseinandersetzungen rivalisierender Gangs. An diesem Tag fordern sie mehrere Todesopfer. Darunter sind drei junge Männer - geradezu hingerichtet mit einem Gewehr. Es sind Brüder von Khadija Shaw, einem der größten Talente des jamaikanischen Frauenfußballs. Die Angreiferin hat Spanish Town, diesen oftmals so schrecklichen Platz zum Leben (und zum sterben) zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich gelassen. Das Mädchen mit dem Spitznamen "Bunny" lebt fernab ihrer Heimat in den USA. Sie geht dort zum Eastern Florida State College und ist gerade volljährig geworden, als sie vom Tod dreier ihrer sieben Brüder erfährt. Ein weiterer kommt kurz darauf bei einem Autounfall ums Leben. Shaw ist mit ihrem Schmerz allein. Sie zerbricht beinahe daran. Der Teenager ist kurz davor, das aufzugeben, was sie neben ihrer Familie am meisten liebt: den Fußball.

Vier Brüder und zwei Neffen in kurzer Zeit gestorben

"Ich wollte einfach nur nach Hause. Ich wollte nicht mehr Fußball spielen", erzählte die hochveranlagte Stürmerin dem "Guardian". Ihre Brüder haben gerade die letzte Ruhe gefunden, da schlägt das Schicksal erneut auf grausame Art und Weise zu. Shaw ist inzwischen wieder in die USA zurückgekehrt. Zwei ihrer Neffen besuchen sie. Auch von ihnen muss die damals 18-Jährige kurz darauf für immer Abschied nehmen: Einer wird auf dem Fußballplatz von einem Blitz getroffen und stirbt, der andere erliegt einer Schusswunde. Die junge Frau weiß nicht mehr ein noch aus. "Was soll jetzt noch kommen?", fragt sie sich. Wieder erwägt Shaw, die mit 15 für die A-Nationalmannschaft Jamaikas debütierte, ihren eigentlich so geliebten Sport aufzugeben. "Es war ein hartes Jahr. Ich habe Brüder und Neffen verloren. Aber sie hätten gewollt, dass ich weitermache", erklärte die Angreiferin.

Vom heutigen Nationalcoach entdeckt

Hue Menzies © picture alliance/SportPix Foto: Alex Todd | SPORTPIX.ORG.UK

Jamaika-Coach Hue Menzies wurde als Erster auf Shaws großes Talent aufmerksam.

Der Fußball hatte der Tochter eines Schumachers und einer Hühnerzüchterin erst den Sprung nach Amerika und in eine damit bessere Zukunft ermöglicht. Jamaikas heutiger Nationalcoach Hue Menzies entdeckte sie 2015 bei den CONCACAF-Play-offs der U17 in Montego Bay. "Ich war damals ein Scout für die US-amerikanische Nationalmannschaft. Und 'speziell' ist das einzige Wort, das mir einfällt, um das zu beschreiben, was ich gesehen haben", sagte der 55-Jährige. So nehmen die Dinge ihren Lauf. Denn gemeinsam mit Menzies schaute sich damals Chris Ducar, der Assistenzcoach der University of North Carolina, die Spiele an. "Wir müssen dieses Mädchen wirklich im Auge behalten", erklärte er anschließend.

Schwere Anfänge in den USA

Shaw verschlägt es dann allerdings nicht nach North Carolina, sondern vorerst auf ein kleines College in Navarro (Texas). Ihre Schulnoten sind zu schlecht für die Aufnahme an einer renommierteren Lehranstalt. Doch das hat Gründe. "Dort, wo sie gelebt hat - in Spanish Town -, gab es manchmal nicht einmal Strom an den Schulen", berichtete Menzies. Auch in den USA hat Shaw zunächst mit einigen Widrigkeiten zu kämpfen. Es fällt ihr schwer, in der neuen Umgebung Fuß zu fassen. Texas gefällt dem jungen Mädchen nicht. Die talentierte Fußballerin packt ihre Koffer und zieht nach Florida, wo sie auf dem Eastern State College ihren Abschluss macht. Nebenbei erzielt sie für das Nachwuchs-Team der Bildungseinrichtung viele Tore.

Brian Pensky, Coach der Tennessee Lady Volunteers, wird auf die Jamaikanerin aufmerksam und überredet sie, nach Knoxville zu kommen. Shaw sagt zu. Sie nimmt an der dortigen Universität ein Studium der Kommunikationswissenschaften auf, das sie kurz vor der WM in Frankreich abschließt. Die 22-Jährige muss also nicht auf die Karte Fußball setzen, um für ihren Lebensunterhalt sorgen und ihre noch immer in Spanish Town lebende Familie unterstützen zu können.

Erster Profivertrag bei Girondins Bordeaux

Die jamaikanische Nationalspielerin Khadija Shaw © picture alliance / SPORTPIX.ORG.UK

Shaw versucht ab der neuen Saison, in Frankreich Fuß zu fassen.

Vorerst aber wird Shaw von dem Sport leben, den sie liebt. Und das wohl ziemlich gut. Ein großer US-amerikanischer Sportartikelhersteller hat sie jüngst unter Vertrag genommen. Und kurz vor dem ersten WM-Spiel in der Gesichte der jamaikanischen Frauen-Nationalmannschaft gegen Brasilien (0:3) unterzeichnete die Angreiferin einen Zweijahreskontrakt beim französischen Club Girondins Bordeaux. Es ist ihr erster Profivertrag. Die 22-Jährige hat sich von all den fürchterlichen Schicksalsschlägen nicht unterkriegen lassen. Ohne ihre Passion wäre dies vielleicht nicht möglich gewesen. "Sie wurde geboren, um Fußball zu spielen", sagte ihre Mutter Moinca Shaw jüngst dem Portal "loopjamaica".

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Das Erste | FIFA Frauen WM 2019 | 14.06.2019 | 18:00 Uhr