Die südafrikanische Fußball-Nationalspielerin Jermaine Seoposenwe (r., Foto aus dem Jahr 2016) © imago/Agencia EFE

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Jermaine Seoposenwe: Der Hölle entkommen

von Hanno Bode, sportschau.de

Jermaine Seoposenwe wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. In ihrer Jugend hatte sie den Tod vor Augen. Der Fußball öffnete der südafrikanischen Nationalspielerin den Weg in ein besseres Leben.

Der neue Arbeitsplatz der südafrikanischen Nationalspielerinnen Jermaine "Jay" Seoposenwe und Nothando "Vivo" Vilakazi liegt direkt in einem Wohngebiet der nordlitauischen Stadt Siauliai. Nur eine kleine Nebenstraße trennt das Stadion des FK Gintra Universitetas von grauen Hochhäusern. Es gibt zwei Tribünen mit gelben Sitzschalen, eine hölzerne Anzeigetafel und ein paar mobile Toilettenkabinen in unmittelbarer Nähe des Kunstrasenplatzes. Hier trägt der 13-malige Meister seine Heimspiele aus. Es ist fraglos nicht die ganz große Fußballwelt, in die Seoposenwe und Vilakazi Mitte April dieses Jahres eingetaucht sind. Doch der Klub aus der 127.000 Einwohner zählenden Stadt - seit 2009 Stammgast in der Champions League - ist für die beiden Südafrikanerinnen eine große Chance. Sportlich und finanziell. Er soll für sie ein Sprungbrett in eine europäische Top-Liga sein.

Vorbild Leandra Smeda

Die südafrikanische Fußball-Nationalspielerin Leandra "Chomi" Smeda beim Kopfball © imago/GEPA pictures

Leandra Smeda gelang der Sprung aus der litauischen in die schwedische Liga.

Leandra "Chomi" Smeda hat ihn über den Umweg Siauliai bereits geschafft. Die Landsfrau von Seoposenwe und Vilakazi wechselte in diesem Jahr von Gintra Universitetas zum schwedischen Verein Vittsjö GIK. "Leandra hat uns nur Gutes über den Klub erzählt", sagte Seoposenwe, die wie Vilakazi einen Einjahresvertrag bei Gintra Universitetas unterzeichnet hat. Beide spielten zuvor in ihrer Heimat - allerdings nicht wie jetzt als Profis. Für die 30 Jahre alte Verteidigerin Vilakazi (war zuvor für die Palace Super Falcons aus Johannesburg am Ball) ist es das erste Auslandsengagement. Die fünf Jahre jüngere Angreiferin Seoposenwe (kam vom JVW FC aus Johannesburg) sammelte während ihres Marketing-Studiums an der Samford University in den USA Erfahrungen im College-Fußball. Dort stellte sie 2016 mit 16 Treffern einen Rekord auf und wurde daraufhin in das südafrikanische Olympia-Aufgebot berufen.

Internationaler Durchbruch bei Olympia

Bei den Spielen in Rio machte Seoposenwe ebenfalls durch gute Leistungen auf sich aufmerksam und erhielt bereits damals Offerten von europäischen Vereinen. Sie zog es vor, in Amerika zu bleiben und ihr Studium abzuschließen. Ganz auf die Karte Fußball zu setzen, das war der aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Torjägerin zu riskant. In ihrem Leben ging es schließlich lange Zeit nur um eines: das Überleben.

Kindheit im Township: "Gott schützte mich"

Die südafrikanische Fußball-Nationalspielerin Jermaine Seoposenwe © picture alliance / ANP

Jermaine Seoposenwe machte in ihrer Kindheit traumatische Erfahrungen.

"Es gab Zeiten, in denen bin ich in Situationen geraten, in denen ich hätte sterben können. Einmal wurde eine Waffe auf mich gerichtet. Das war sehr beängstigend. Ich war mit einer Freundin zu einer Party gegangen, als sich der Vorfall ereignete. Gott schützte mich", berichtete Seoposenwe dem Portal "sowetanlive". Die Tochter eines Pastors wuchs in einem der berüchtigten Townships südöstlich von Kapstadt auf. Armut, Drogen und Verbrechen prägen den Alltag der hier lebenden Menschen. Es sind überwiegend Farbige und Schwarze. Für viele gibt es kein Herauskommen aus den Elendsvierteln. "Meine Freunde sind in die Kriminalität abgerutscht oder den Drogen verfallen. Aber ich grüße sie und spreche mit ihnen. Sie haben mich zum Fußball gebracht. Ich bin kein Fan des Lebens, das sie führen. Aber sie sind immer noch meine Freunde", sagte die 25-Jährige.

Alabama statt Kapstadt - der Weg ins Glück

Seoposenwe gelang es, die Hoffnungslosigkeit und das Elend des Township-Lebens hinter sich zu lassen. Im Gegensatz zu vielen ihrer Freunde hatte sie die Disziplin, täglich die Schulbank zu drücken. Und sie spielte Fußball, während andere Kinder stahlen oder sich mit Drogen die Sinne vernebelten. "Ich habe mit zwölf Jahren begonnen. Zuerst haben ich nur mit Jungs Fußball gespielt. Ich denke, das hat mir für meine Entwicklung sehr geholfen. Als ich mich dem Mädchen-Team von Santos anschloss, war ich körperlich sehr stark und selbstbewusst", berichtete die Stürmerin. Im Verein erhielt das große Talent den nötigen Feinschliff. Ihre tollen Leistungen sprachen sich herum. 2013 bot die Samford-Universität Seoposenwe ein Fußball-Stipendium an - sie nahm es an. Alabama statt Kapstadt hieß es fortan für die junge Frau. Es war ein Riesenschritt für die Südafrikanerin. Der Schritt aus dem Elend heraus in ein neues Leben.

In den USA zweimal Spielerin des Jahres

Seoposenwe bekam eine Chance, die den meisten ihrer Freunde aus dem Township verwehrt blieb. Das Studium war ihr Schlüssel in eine gesicherte Zukunft, der Fußball weiter ihre große Leidenschaft. Zweimal in Folge wurde sie in der Southern Conference zur Spielerin des Jahres gekürt. Mit 35 Treffern ist die Südafrikanerin erfolgreichste Schützin aller Zeiten der Samford Universität. Bei ihrem Abschied 2017 aus Alabama flossen auf dem Campus Tränen. Die Nationalspielerin wurde zu diesem Zeitpunkt von schwedischen Klubs umgarnt. Doch sie widerstand den Lockrufen des Geldes und kehrte in ihre Heimat zurück, um beim Namensgeber der südafrikanischen Frauenliga, einem Erdöl- und Chemieunternehmen, ein einjähriges Praktikum zu beginnen: "Weil ich meine Zukunft sichern wollte."

Litauen nur eine Zwischenstation?

Die südafrikanische Fußball-Nationalspielerin Nothando "Vivo" Vilakazi © imago/Bildbyran

Nothando Vilakazi wechselte gemeinsam mit Jermaine Seoposenwe nach Litauen.

"Nebenbei" hatte die Angreiferin noch großen Anteil daran, dass sich "Banyana Banyana", wie die Frauennationalmannschaft gerufen wird, erstmals für eine Weltmeisterschaft qualifizieren konnte. Durch diesen Erfolg spielten sich die Südafrikanerinnen ins Rampenlicht sowie in die Notizblöcke diverser Klubmanager. Vilakazi und Seoposenwe nahmen schließlich die Offerte aus Litauen an. "Ich muss mich als Spielerin weiterentwickeln. Das ist nicht nur für mich gut, sondern auch für die Nationalmannschaft", erklärte Letztere, warum sie nun doch noch den Sprung nach Europa wagte. Siauliai soll dabei für die 25-Jährige eigentlich nur eine Zwischenstation sein. "Ein weiterer Beweggrund für meinen Wechsel war, dass der Verein in der Champions League spielt. Dort kannst du als Spieler bekannt werden und dadurch bessere Angebote bekommen. Leandra (Smeda, die Redaktion) erzählte mir von der Mannschaft und von allem, da konnte ich nicht nein sagen, als sich mir die Gelegenheit bot", erklärte Seoposenwe.

Möglicherweise braucht die Angreiferin die "Königsklasse" aber gar nicht, um Topklubs auf sich aufmerksam zu machen. Die WM in Frankreich ist für sie ja fraglos eine noch größere Bühne. Und damit eine Chance, weiter an ihrem persönlichen Märchen zu schreiben.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | FIFA Frauen WM 2019 | 08.06.2019 | 16:00 Uhr

Stand: 03.05.19 14:13 Uhr