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Meistercoach Lerch: "Deutschland muss aufwachen"

Was ist drin für die DFB-Frauen bei der WM in Frankreich? Und wieso boomt der Frauenfußball in Europa, aber nicht in Deutschland? Meistertrainer Stephan Lerch vom VfL Wolfsburg im Interview.

Nach dem frühen EM-Aus 2017, einer bitteren Heim-Niederlage in der WM-Quali gegen Island und dem letzten Platz beim SheBelieves Cup lag der deutsche Frauenfußball am Boden. Während die Fans in Frankreich, Spanien, Italien und England nur so in die Stadien strömen, fristet die Bundesliga ein Schattendasein. Mit der WM soll sich das ändern, die DFB-Frauen samt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gehen - auch medial - in die Offensive. Im Interview mit Trainer Stephan Lerch, der in der abgelaufenen Saison mit den Frauen des VfL Wolfsburg erneut das Double aus Meisterschaft und DFB-Pokal gewonnen hat, spricht sportschau.de über die aktuelle Lage.

Herr Lerch, wie gut ist der deutsche Frauenfußball noch?

Stephan Lerch: Ich glaube, dass der Frauenfußball gut aufgestellt ist. Vor allem hat Deutschland eine sehr starke Mannschaft bei der WM. Aber es gab natürlich eine Phase, in der die Ergebnisse nicht gut waren. Die Heimniederlage gegen Island war sicher der Knackpunkt. Jetzt ist das Team wieder auf Kurs und hat viel Potenzial.

Stephan Lerch, Trainer des VfL Wolfsburg mit Nationaltorhüterin Almuth Schult © Imago Foto: Sebastian Priebe

VfL-Trainer Stephan Lerch und seine (meinungs-) starke Torhüterin Almuth Schult.

In Europa boomt der Frauenfußball - wie erleben Sie das gestiegene Interesse, gerade wenn Sie mit dem VfL Wolfsburg international unterwegs sind?

Lerch: Wir bekommen natürlich mit, wie viel andere Nationen investieren. Die positive Entwicklung sorgt für Aufsehen. Der kleine Boom ist insgesamt gut für den Frauenfußball. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass es für Deutschland Zeit ist aufzuwachen. Wir müssen aufpassen, dass die ausländischen Ligen für Topspielerinnen nicht deutlich attraktiver werden als die Bundesliga. Auch wir müssen die nächsten Schritte gehen, sonst bekommen wir Probleme.

Die 10.000 Zuschauer bei der WM-Generalprobe gegen Chile haben beim DFB-Tross für große Freude gesorgt. Aber sogar Schottland hatte gegen Jamaika fast doppelt so viele. Was läuft schief in Deutschland?

Lerch: Die Situation ist schwierig, weil es in Deutschland ein Überangebot an Fußball gibt. Jeden Tag ist auf irgendeinem Sender Fußball zu sehen. Und da muss sich der Frauenfußball behaupten. Ein erster Schritt wäre es, dass die Frauen-Bundesliga regelmäßige Spielzeiten bekommt. Das ist wichtig für die Berichterstattung. Ich würde mich schon freuen, wenn die Ergebnisse der Frauen-Bundesliga in der Sportschau gezeigt würden, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Die WM könnte nun dazu beitragen, das Interesse wieder zu erhöhen. Deutschland war im Frauenfußball immer mitführend. Vielleicht haben wir uns darauf zu lange ausgeruht. Andere Nationen mit weniger Erfolgen haben mit viel Werbung aufgeholt und sind auch vorbeigezogen.

Die DFB-Frauen haben mit ihrem großen Werbespot für einen Sponsor vor der WM, der mit einigen Vorurteilen spielt ("Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze"), viel Aufmerksamkeit erzeugt. Hat Ihnen der Spot gefallen?

Lerch: Ich finde den Spot superklasse. Er trifft in so vielen Aussagen zu, die Spielerinnen nehmen sich auch selbst auf den Arm und haben eine starke Botschaft. Kurz: Der Spot ist sehr gelungen.

Ist das der richtige Weg?

Lerch: Solche Spots sorgen auf jeden Fall für die nötige Aufmerksamkeit, die die Fußballerinnen brauchen. So wurden mit Sicherheit viele Menschen erreicht, die sonst im Vorfeld noch nichts von der WM mitbekommen hätten. Frech, modern und witzig - so entfacht man ein WM-Fieber. Ich hoffe, dass später weitere Filme folgen werden - von Verbands-, aber auch von Vereinsseite.

Die UEFA will den Frauenfußball mit einem großen Aktionsplan weiter nach vorne bringen. Kann auch Deutschland davon profitieren?

Lerch: So ein Aktionsplan ist auf jeden Fall auch für Deutschland gut. Es sollen wieder mehr Mädchen anfangen, Fußball zu spielen und dann auch besser gefördert werden. Die Bundesliga muss wieder mehr Zuschauer in die Stadien locken und auch noch professioneller werden. Ein Beispiel: In der vergangenen Saison wurde zum ersten Mal mit einem einheitlichen Spielball gekickt. Das sorgt vielleicht nicht dafür, dass die Topspielerinnen lieber in Deutschland bleiben. Aber es stärkt die Frauen-Bundesliga als Marke - und da müssen weitere Schritte gegangen werden.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | FIFA Frauen WM 2019 | 08.06.2019 | 16:00 Uhr

Stand: 05.06.19 11:30 Uhr