Deutsches Team

Angerer: "Nur Almuth darf den Rekord brechen"

Nationaltorhüterin Almuth Schult könnte in Frankreich Nadine Angerers WM-Rekord brechen. Doch die mittlerweile 40-jährige Angerer gibt sich im Interview mit der sportschau ganz entspannt.

Während in Frankreich die WM stattfindet, läuft die National Women’s Soccer League (NWSL) in den USA einfach weiter. Davon kann Nadine Angerer ein Liedchen singen, die bei den Portland Thorns als Torwarttrainerin arbeitet. Gleich neun Nationalspielerinnen musste ihr Club abstellen. Die drei Australierinnen, die Kanadierin und die Brasilianerin "waren schneller zurück, als wir dachten". Aber die vier US-Spielerinnen sind noch bei der Weltmeisterschaft am Ball. Im Interview mit der sportschau spricht die ehemalige deutsche Nationaltorhüterin, die als einzige bei einer WM ohne Gegentor geblieben ist, über ihren Rekord, ihre Nachfolgerin Almuth Schult und ihr Wunschfinale.

Frau Angerer, was bekommen Sie in den USA mit der ganzen Zeitverschiebung von der WM mit?

Nadine Angerer pariert © dpa Foto: Samuel Wilson

Lebt in den USA: Ex-Nationalkeeperin Nadine Angerer.

Nadine Angerer: Ich kriege so ziemlich alles mit. Wir haben hier im Büro ein paar große Fernseher hängen und verfolgen die Spiele natürlich alle. Auch wenn es eine ungewohnte Zeit ist, morgens um 6, 9 und 12 Uhr. Alles machbar. Wenn Deutschland gegen Schweden spielt, sind wir mit den Thorns zum Spiel in Houston. Der Anpfiff des WM-Spiels ist dann um 11.30 Uhr, also die beste Fußball-Zeit (lacht).

Wie beurteilen Sie die deutsche Leistung bisher? In Deutschland wird ein bisschen rumgemeckert, es sei effektiv, aber Rumpelfußball.

Angerer: Natürlich wird schon wieder rumgemeckert (lacht). Auch gegen die Meinung anderer finde ich, dass viele gute spielerische Ansätze da waren. Die Chancenauswertung kann man bemängeln. Aber wenn die Chancen nicht genutzt werden, heißt das ja, dass man sich gute Chancen rausgespielt hat. Ich sehe das bis jetzt ganz positiv.

Wie beurteilen Sie, dass die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bei so einem großen Turnier auf junge Spielerinnen wie Giulia Gwinn oder auch Lena Oberdorf setzt?

Angerer: Ich finde das super. Natürlich kann das auch ein Nachteil sein, aber im Moment funktioniert es. Giulia Gwinn hat den Siegtreffer gegen China geschossen. Die Mannschaft gibt das Vertrauen zurück, das Martina Voss-Tecklenburg in die jungen Spielerinnen setzt. Also macht sie bisher alles richtig. Ich würde es genauso machen.

Almuth Schult hat erzählt, dass Sie viel Kontakt haben. Nicht nur privat, sondern dass es auch ums Torwartspiel geht und sie bei Ihnen in Portland war. Wie sehen Sie ihre WM ohne Gegentor bislang?

Angerer: Sie hat bisher noch nicht so viel zu tun bekommen. Aber das, was es zu tun gab, hat sie souverän gelöst. Sie hat ein gutes Aufbauspiel, ist eine lautstarke Leaderin und hat im Strafraum immer eine passende Lösung. Wenn Almuth Fehler macht, dann passieren die, wenn sie nicht zu 100 Prozent fokussiert ist. Aber wenn sie konzentriert und im Spiel ist, ist sie mit Abstand die kompletteste Torhüterin und für mich eh die Beste der Welt.

Ist es gut, dass sie genauso wie Sie früher nicht nur Bälle hält, sondern auch den Mund nicht hält und die Dinge anspricht?

Angerer (grinst): Ja, auf jeden Fall. Es ist ja eine sehr junge Mannschaft. Almuth ist jetzt schon sieben, acht Jahre beim Nationalteam dabei. Wenn sie es nicht macht, wer soll es denn sonst machen? Das kann man von einer Gwinn oder Oberdorf gar nicht erwarten. Da müssen die Säulen der Mannschaft mit Almuth, "Poppi", Leupolz, Däbritz, die alle schon eine WM gespielt haben, vorangehen.

Was hat Sie beim WM-Titel 2007, als Sie im ganzen Turnier kein Gegentor kassiert haben, so stark gemacht?

Angerer (grinst): Ich hatte eine gute Mannschaft um mich herum. Außerdem haben mich Silvia Neid und Michael Fuchs immer spüren lassen, dass sie mir vertrauen. Und dann war da noch mein eigener Anspruch, gute Leistungen zu bringen. Diese Kombination hat dann eine gute WM ausgelöst.

Eine "gute WM" ist wohl ein bisschen untertrieben. Almuth Schult hat gesagt, ihr wäre auch ein 4:3-Sieg recht. Aber ist es für eine Torhüterin nicht toll, ohne Gegentor durch ein Turnier zu kommen? Wie wichtig war es Ihnen, diesen Rekord zu haben?

Angerer: Es ist schwer zu glauben, es ist wirklich so: Es hat mich keine Sekunde interessiert. Ich war so fokussiert aufs Gewinnen, und da gebe ich Almuth Recht, mir war das wirklich in dem Moment egal. Primär ging es mir darum, dass wir Weltmeister werden. Dass ich kein Gegentor kassiert habe, war ein schöner Nebeneffekt. Wenn wir das Finale 4:2 oder 3:1 gewonnen hätten, wäre mir das wirklich reichlich egal gewesen.

Ist es 2019 für eine Torhüterin noch möglich, ohne Gegentor durchs Turnier zu kommen?

Angerer: Almuth ist ja auf einem guten Weg. Und wenn jemand den Rekord knacken darf, dann ist es Almuth (lacht). Ich wünsche ihr, dass sie auch im Viertelfinale, Halbfinale und Finale zu Null spielt. Das wird nicht leicht. Aber wenn es jemand schaffen kann, dann Almuth.

Wer sind außer Deutschland Ihre Favoriten auf den Titel?

Angerer: Ich freue mich auf ein Finale Deutschland gegen USA. Es ist ganz verrückt, Deutschland läuft gerade irgendwie als erweiterter Favorit so ein bisschen unter dem Radar mit. Für mich ist es der absolute Favorit. Alles ist so fokussiert auf Frankreich oder Amerika. Deutschland ist fokussiert auf sich und lässt sich überhaupt nicht beirren. Ich sehe Deutschland auf jeden Fall im Finale und habe da wirklich keine Zweifel dran. Ich habe das Gefühl, auch was ich von Almuth höre, dass die Spielerinnen eine gute Dynamik, Spaß miteinander und Freude am Turnier haben. Ich bin da wirklich ganz optimistisch.

Und wie geht Ihr Wunschfinale dann aus?

Angerer: Das ist eine gute Frage (lacht). Ich probiere es mal auf dem diplomatischen Weg: Der Bessere soll an diesem Tag gewinnen. Ich muss das ja auch aus ein bisschen egoistischen Gründen sehen. Wir haben so viele Spielerinnen von den Portland Thorns bei der WM. Die wollen wir in einer guten Stimmung zurückhaben. Wir haben hier ja auch noch Ziele. Deswegen möchte ich natürlich, dass die als Weltmeister zurückkommen. Das wäre auch gut für den Fußball in Amerika. Andererseits bin ich ja nunmal Deutsche und habe ganz viele Jahre für den DFB gespielt. Da schlagen wirklich zwei Herzen.

Das Interview führte Inka Blumensaat, aufgezeichnet von Florian Neuhauss in Rennes

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | FIFA Frauen WM 2019 | 29.06.2019 | 14:30 Uhr

Stand: 28.06.19 09:30 Uhr