
WM-Bilanz
ARD-Experten: Top Vier ist ein gutes Ergebnis
Ihre Stimme hat Gewicht: Martina Knief (Hörfunk) und Bernd Schmelzer (Fernsehen) kommentieren seit vielen Jahren die Spiele der deutschen Frauen-Nationalmannschaft für die ARD. Für sportschau.de ziehen die beiden Experten eine WM-Bilanz. Sie erklären, warum sie die Kritik an den deutschen Spielerinnen nur teilweise nachvollziehen können, weshalb brillanter Fußball allein nicht reicht und welche Herausforderungen im kommenden Jahr auf Neid-Nachfolgerin Steffi Jones warten.
Deutsche Mannschaft
Knief: Nach der leichtesten Vorrundengruppe der WM wurde die deutsche Mannschaft mit extrem guten Gegnern in der K.o.-Phase "bestraft". Trotzdem haben es die DFB-Frauen unter die Top Vier der Welt geschafft. Das ist ein gutes Ergebnis, mit den Schwierigkeiten im spielerisch-taktischen Verhalten, die offenkundig wurden gegen die USA. Da hat es meiner Meinung nach ein bisschen an Cleverness gefehlt. Manche hatten einfach auch zu viel Respekt.
Schmelzer: Im Großen und Ganzen hat Deutschland eine ordentliche WM gespielt. Es ist keine Schande, im Halbfinale einer WM zu verlieren. Und die deutschen Spielerinnen haben sich auch nicht dorthin gerumpelt. Es gab sehr gute Vorstellungen. Die erste Halbzeit des Norwegen-Spiels war für mich die beste des gesamten Turniers. Intern muss man beim DFB sicher darüber diskutieren, ob man das jetzige System weiterspielen kann in den nächsten Jahren oder ob man es erweitern muss.
Kritik am deutschen Team
Knief: Wenn man im WM-Halbfinale 20 Minuten vor Schluss 0:1 hinten liegt, muss definitiv mehr als ein Wechsel kommen. Die Kritik am taktischen System kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Nur weil die Amerikanerinnen sich jetzt ausnahmsweise auch mal gut auf das deutsche System eingestellt hatten, muss man es nicht schlechtreden. Wenn die Spielerinnen das gebracht hätten, was sie können, hätten wir diese Diskussion gar nicht. Oder wenn im Mittelfeld eine Spielerin wie Nadine Keßler mit ihrer unheimlichen Präsenz dabei gewesen wäre. Das können viele junge Spielerinnen natürlich noch nicht haben. Die lernen aber aus solchen Spielen.
Schmelzer: Ich war auch verwundert darüber, dass Silvia Neid gegen die USA nicht mehr ausgewechselt hat. Denn von der Bank hätte schon noch ein Impuls kommen müssen. Dass es an einer Systemfrage gescheitert sein soll, glaube ich nicht. Die Offensivleistung war holprig und die Abschlüsse einfach schlecht. Ich fand es unglücklich, vor dem Spiel um den dritten Platz so ein Fass aufzumachen. Man hätte nach der WM eine vernünftige Analyse machen sollen.
Sportliches Fazit
Knief: Die erste WM mit 24 Mannschaften war eine gute. Japan hat mich einmal mehr positiv überrascht, die große Enttäuschung für mich waren die Schwedinnen. Die haben sich hier als zerstrittener Haufen präsentiert, entsprechend desaströs war ihre Körpersprache. Norwegen hat in der Vorrunde taktiert und ist dafür in der K.o.-Runde bestraft worden. Kanada hat viel erreicht mit der Viertelfinal-Teilnahme, mehr war nicht drin. Brasilien hatte ich von vornherein nicht auf der Rechnung - Marta war nur hier, um ihr 15. WM-Tor zu schießen, was ihr mit einem verwandelten Foulelfmeter gelungen ist. Bei der Schweiz zahlt sich die Aufbauarbeit von Martina Voss-Tecklenburg aus. Auch in England scheint der Trainer sehr gute Arbeit zu machen. Dass die Amerikanerinnen trotz ihres hohen Altersdurchschnitts physisch wieder so präsent sind, hätte ich nicht erwartet. Im Spiel gegen Deutschland war auch zu sehen, dass sie inzwischen mehr können, als nur lange Bälle nach vorn schlagen und hinterherrennen. Die Französinnen haben teilweise brillant gespielt, jede Situation wurde spielerisch gelöst in einem atemberaubenden Tempo. Aber als es hart auf hart kam, haben sie wieder versagt.
Schmelzer: Der Trend geht dahin, dass immer mehr Teams spielerische Lösungen suchen: England, Frankreich, Japan, selbst die USA, die gegen Deutschland allerdings erstmals im Turnier richtig gut gespielt haben. Die große Überraschung war für mich England, die haben den größten Sprung gemacht. Die wechseln auch mal das System während des Spiels. Bei Norwegen und Schweden, die mit Deutschland immer auf Augenhöhe waren, ist die Entwicklung stehen geblieben. Das hat mit modernem Frauenfußball nicht mehr viel zu tun. Alle haben die Französinnen gelobt - aber sie sind vor Deutschland nach Hause gefahren. Sicherlich sind sie spielerisch die Besten, aber was ist eine Mannschaft, die nicht ans Ziel kommt? Stellen wir uns mal vor, Silvia Neid hätte gegen Frankreich mit drei verschiedenen Systemen tollen Fußball gespielt und wäre im Elfmeterschießen ausgeschieden. Ich würde gern mal hören, was die, die sie jetzt kritisieren, dann gesagt hätten.
Neuer Abschnitt
Impressionen
Tore und Triumphe: Die K.o.-Runden in Bildern
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Es ist angerichtet fürs Finale im ausverkauften Stadion in Vancouver: USA gegen Japan, das gab es schon 2011 bei der WM in Deutschland und ein Jahr später bei den Sommerspielen in London. Weltmeister wurde Japan, Olympia-Gold sicherten sich die Amerikanerinnen. Und diesmal?
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Die US-Frauen erwischen einen Blitzstart, führen schon nach rund einer Viertelstunde mit 4:0. Kapitänin Carli Lloyd (Nummer 10), die im Anschluss zur besten Spielerin des Turniers gewählt wird, markiert gleich drei Treffer.
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Die Asiatinnen beweisen jede Menge Moral, kämpfen sich ins Spiel und verkürzen zwischenzeitlich auf 2:4. Am Ende unterliegen Keeperin Ayumi Kaihori und Co. aber mit 2:5.
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Riesenjubel bei den USA, die den dritten Stern holen und nun Rekord-Weltmeister sind.
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Babett Peter ist am Boden zerstört.
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Im Spiel um Platz drei unterliegt Deutschland England mit 0:1 nach Verlängerung.
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Fara Williams trifft in der 108. Spielminute per Foulelfmeter und macht den ersten Sieg der "Three Lionesses" über eine deutsche Mannschaft überhaupt perfekt.
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Während die Freude bei England über Bronze riesig ist, ...
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... lassen die deutschen Spielerinnen die Köpfe hängen.
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Zuvor war Deutschlands Traum vom dritten WM-Titel geplatzt: Nadine Angerer (r.) und Co. unterlagen im Halbfinale den USA.
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Nach einer schwachen ersten Hälfte hat Célia Sasic (r.) in der 60. Minute per Strafstoß die Führung auf dem Fuß - vergibt aber.
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Die US-Amerikanerin Carli Lloyd macht es besser vom Punkt. Ihr Führungstreffer in der 69. Spielminute leitet die Niederlage der DFB-Spielerinnen ein. Kelley O'Hara erhöht zum 2:0. Die USA stehen verdient im WM-Finale.
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Titelverteidiger Japan tut es den USA gleich und zieht ins Finale ein.
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Gegen starke Engländerinnen sieht es jedoch lange so aus, als würde der Favorit straucheln.
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Japan geht zwar durch einen Strafstoß von Aya Miyama in der 33. Minute in Führung, doch kurz darauf trifft auch Fara Williams (2.v.r.) vom Punkt.
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Die "Three Lionesses" sind die bessere Mannschaft. Doch ausgerechnet ein Eigentor durch Laura Bassett (r.) in der Nachspielzeit lässt alle Finalträume platzen. England verliert 1:2 und trifft im Spiel um Platz drei auf Deutschland.
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Im ersten Viertelfinale hatte sich Deutschland in einem dramatischen Spiel gegen Frankreich für das Halbfinale qualifiziert. Die Freude war riesig.
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Die DFB-Frauen tun sich gegen "Les Bleues" lange schwer und geraten durch einen Treffer von Louisa Nécib in Rückstand. Doch Célia Sasic (M.) gleicht per Foulelfmeter aus und rettet Deutschland in die Verlängerung.
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Im Elfmeterschießen avanciert Torfrau Nadine Angerer zur Heldin: Sie hält den letzten Schuss.
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Damit besiegt Deutschland Frankreich mit 6:5 nach Elfmeterschießen und zieht als erste Mannschaft ins WM-Halbfinale ein.
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Über das zweite Halbfinalticket dürfen sich die USA freuen - 1:0 gegen China.
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In einer zähen Partie besiegt Japan Australien und darf weiter von der erfolgreichen Titelverteidigung träumen.
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Die eingewechselte Mana Iwabuchi (Nummer 16) vom FC Bayern München erzielt in der 87. Minute das entscheidende Tor zum 1:0 für die Asiatinnen.
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Die Engländerinnen um Lucy Bronze (l.) schreiben ihre Erfolgsstory mit einem 2:1-Sieg gegen Gastgeber Kanada fort.
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Im Achtelfinale hatte das DFB-Team mit einer imponierenden Leistung seine Titelansprüche untermauert.
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Simone Laudehr und Co. besiegen Schweden vor 22.486 Zuschauern im ausverkauften Lansdowne Stadium in Ottawa mit 4:1.
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Anja Mittag, zweimal Celia Sasic (im Bild per Foulelfmeter) und Dzsenifer Marozsan treffen für die DFB-Frauen.
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China zieht als zweite Mannschaft ins Viertelfinale ein - 1:0 gegen Kamerun. Stürmerin Wang Shanshan (M.) trifft nach zwölf Minuten zur frühen Führung und zum Sieg.
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Mitfavorit Brasilien um Superstar Marta unterliegt Australien im Achtelfinale mit 0:1. Kyah Simon (blaues Haarband) schießt die "Matildas" in der 80. Spielminute in die Runde der letzten Acht.
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Frankreich wird seiner Favoritenrolle gerecht und siegt souverän 3:0 gegen die Südkoreanerinnen. Zweimal Marie-Laure Delie (r.) und Élodie Thomis schießen die Französinnen ins Viertelfinale.
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Vor mehr als 53.000 Zuschauern treten die Gastgeberinnen in Vancouver zu ihrem ersten K.o.-Spiel an. Die Kanadierinnen besiegen die Schweiz 1:0 und dürfen weiter vom WM-Triumph vor heimischem Publikum träumen.
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Norwegen geht gegen England durch einen Kopfball von Solveig Gulbrandsen (M.) in Führung, aber die Engländerinnen drehen die Partie dank der Treffer von Steph Houghton und Lucy Bronze. Die "Three Lionesses" ziehen somit ins Viertelfinale ein, wo sie auf Kanada treffen.
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Die USA besiegen Kolumbien mit 2:0 und lösen das vorletzte Ticket für die Runde der letzten Acht.
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Nach einem souverän herausgespielten 2:1-Erfolg gegen die Niederländerinnen steht auch Japan im Viertelfinale. Der Gegner heißt dort Australien.
Organisation
Knief: Ich finde, dass die WM gut organisiert war. Wir haben uns hier sehr wohl gefühlt, das machen einem die Kanadier auch leicht. Die Begeisterung für den Frauenfußball ist groß, wenn auch häufig nur für das eigene Team. Und dass ein Spiel anfängt und ein Großteil der Zuschauer steht noch draußen an der Imbissbude - daran werden wir Europäer uns wohl nie gewöhnen. Die Entfernungen in dem Riesenland waren selbst für uns mitunter eine harte Prüfung: verschiedene Zeitzonen, gravierende Temperaturunterschiede. Vor allem für die Spielerinnen waren das extreme Bedingungen.
Schmelzer: Bei den meisten Spielen waren die Stadien ganz gut gefüllt und die Stimmung prima. Sonst war allerdings nicht so viel los in Bezug auf die WM, in manchen Städten wehten nicht einmal ein paar Fähnchen. Das war in Deutschland besser mit Fanmeilen und Public Viewing. Eine landesweite Euphorie hat es nicht gegeben, dafür waren die Entfernungen auch viel zu groß. Nicht auf WM-Niveau war die Unterbringung der Teams in gemeinsamen Hotels. Wenn man nach einem verlorenen Halbfinale ins Hotel zurückkommt, und da stehen 500 Fans der Amerikanerinnen in der Lobby und bilden ein riesiges Spalier und machen die ganze Nacht Halligalli ... So etwas wäre bei den Männern doch unvorstellbar: Deutschland und Brasilien nach dem 7:1 zusammen in einem Hotel! Ich finde das unwürdig für eine Weltmeisterschaft. Und das Kunstrasen-Experiment war hoffentlich ein einmaliges.
Ausblick
Knief: Silvia Neid wird ihren Vertrag bis 2016 erfüllen und bei Olympia ihr letztes Turnier bestreiten. Die EM-Qualifikation gegen Ungarn, Russland, Kroatien und die Türkei sollte kein Problem sein. Die Bundestrainerin hat bereits in den vergangenen Jahren viele junge Spielerinnen herangeführt. Sicherlich muss sie jetzt langsam einen größeren Umbruch einleiten: Nadine Angerer hört auf, wir sind gespannt, was Celia Sasic macht. Steffi Jones wird dann ein bestelltes Feld übernehmen. Für sie ist die erste Prüfung die EM 2017 in den Niederlanden. Dort den Titel zu holen mit den starken Französinnen als Konkurrenz, England und den Niederländerinnen, das wird eine richtig schwere Aufgabe. Ich traue ihr das zu, weil ich glaube, dass sich der Bundestrainer-Posten wandeln wird hin zu einer Art Supervisor-Job mit einem starken Team. Perfekt verkaufen konnte Steffi Jones den Frauenfußball schon immer, und sie ist eine Respektsperson.
Schmelzer: Über eine erfolgreiche EM-Qualifikation müssen wir nicht diskutieren, die ist Pflicht. Wer unter die besten Vier bei einer WM kommt, ist zudem ein Kandidat für Olympia-Gold. Das haben die deutschen Fußballerinnen ja auch noch nicht. Vor dem Umbruch, der danach kommen wird, muss einem nicht bange sein. Deutschland hat sehr gute Nachwuchsspielerinnen, ob das Pauline Bremer ist, Sara Däbritz, Melanie Leupolz oder Lena Petermann. Von Steffi Jones erwarte ich, dass sie ein gutes Trainerteam zusammenstellt. Ich halte nichts von Kritik im Vorfeld. Man muss ihr eine faire Chance geben. Sie kennt sich aus, sie hat einen guten Namen im Frauenfußball. Viele haben sich auch gewundert, als Jürgen Klinsmann Teamchef wurde - und er hat es relativ weit gebracht mit der Mannschaft.
Notiert von Ines Bellinger in Edmonton
Stand: 05.07.15 10:37 Uhr